Kalifornien
Walter Schug faltet die Hände, lächelt sanft in die Runde und sagt: „Ei, das Babbeln geht immer noch gut.“ Der Grand Seigneur des kalifornischen Weins macht kein Hehl aus seiner hessischen Herkunft; sie bot ihm die bestmögliche Basis, um in der Neuen Welt erfolgreich Fuß zu fassen. Jeden Tag führt der Sohn eines Rheingauer Weinbauern Gäste durch sein Gut, das zu den renommiertesten im Sonoma-Valley zählt. Schug war jung und ungestüm, als er 1961 seinen Traum in die Tat umsetzte, sein Glück in Kalifornien zu suchen. Damals machte er sich mit seiner frisch Angetrauten im VW Käfer und per Schiff auf den Weg nach Übersee – mit 13 Pappkoffern und zwei Paar Ski im Gepäck.
Doch auf die erste Euphorie folgte schon bald die Ernüchterung, denn als angestellter „Winemaker“ hatte er kaum Einfluss auf die Qualitätsprozesse. Darum wagte er nach einigen Jahren den Sprung in die Selbstständigkeit. Ein guter Entschluss, wie sich heute zeigt: Sein „Pinot Noir“ wurde mit Gold prämiert. Am Erfolg hat der Hausherr indes nie gezweifelt, da seiner Meinung nach die dünnhäutigen Beeren der Edelrebe für die Region wie geschaffen sind. Sie lieben vor allem die kühlen Nebelnächte, die wegen der Nähe zum Pazifik das ganze Jahr über für genügend Feuchtigkeit sorgen.
Im gemieteten Motorhome oder, wie die Amerikaner sagen, „RV“, also „Recreation Vehicle“, rollen wir nach der Gutsbesichtigung wieder vom Hof. Bei unserem RV handelt es sich um ein „nur“ 26 Fuß (acht Meter) langes „Kompaktmodell“ der Marke Jamboree auf Ford-Basis, ausgestattet mit einem „Slide-out“ zur Vergrößerung der komfortabel ausgestatteten "Wohnküche". Unter der langen Motorhaube schnurrt ein durstiger Benziner, eine V-10-Zylinder-Maschine mit 6,8 Liter Hubraum und 305 Pferdestärken. Das obligatorische Fünfgang-Automatikgetriebe garantiert entspanntes Reisen auf den kurvigen Straßen im Golden State.
Als nächstes kurven wir nach Point Arena, einem von Wind und Wellen umtosten Felsenkap mit einem schneeweißen, grazilen Leuchtturm. Er war 1908 der erste seiner Art auf US-Boden, der aus Stahlbeton gebaut wurde. Bei einer Turmführung genießen wir aus 35 Meter Höhe die weite Aussicht auf das tosende Meer und Klippen. Point Arena Lighthouse, erklärt der Führer verschmitzt, liege näher an Hawaii als jedes andere Gebäude auf dem Kontinent. Dennoch ist das 4000 Kilometer entfernte Eiland vom Leuchtturm aus nicht zu erspähen. Ein paar Meilen nördlich des Kaps liegt Mendocino. Der kleine Ort mit seinen liebevoll herausgeputzten Holzhäusern erstreckt sich weitläufig oberhalb einer Steilküste. Mendocino ist seit fast fünf Jahrzehnten als Hippie-Hochburg ein Begriff – auch in Deutschland. Anteil daran hatte der Schlagerbarde Michael Holm, der 1970 in „Auf der Straße nach Mendocino“ das schöne Hippie-Mädchen mit den goldenen Spangen im Haar besang – eine Coverversion des Songs „Mendocino“ des Sir Douglas Quintets, der damals weltweit die Hitparaden eroberte.
Schier unfassbar hohe Baumriesen säumen die „Avenue of the Giants“, die Straße der Giganten, im Humboldt Redwoods State Park. Bei dieser Art von Redwoods handelt es sich um den Küstenmammutbaum, der seinen „kleinen Bruder“, den Riesenmammutbaum im Landesinneren, meist nochmals um ein paar Meter in der Höhe übertrifft und maximal 115 Meter hoch werden kann. Die Bäume sind damit die höchsten lebenden auf der Erde; ihr Stammdurchmesser beträgt oft sieben Meter und mehr. Sie können über 2000 Jahre alt werden.
Im Vergleich zu den Mammutbäumen wirken selbst die größten amerikanischen Reisemobile wie Spielzeugautos. Auf Lichtungen im nördlich gelegenen Redwood National Park sichten wir Wapitis, eine in Nordamerika verbreitete Hirschart. Im „Elk Meadow Camp“ in Orick werden wir nachts Ohrenzeugen, wie zwei Bullen mit ihren stattlichen Geweihen um die Weibchen kämpfen. Bei Tagesanbruch genießen wir den Anblick der etwa 60 Tiere, die wenige Schritte vom Mobil entfernt friedlich grasen.
Naturschauspiele anderer Art erleben wir, als wir in den Nordosten Kaliforniens weiterziehen. An den Hängen des Lassen Peak, eines schlummernden Vulkans, steigen aus blubbernden Tümpeln Schwefeldämpfe auf – ein untrügliches Zeichen dafür, dass die Erde im Untergrund auch fast 100 Jahre nach dem letzten Ausbruch immer noch nicht zur Ruhe gekommen ist. Im einstigen Siedlungsland der Medoc-Indianer, den Lava Beds, betört uns die Vielfalt der vulkanischen Landschaftsformen. Hier verlaufen unterirdisch über 380 Lavaröhren, durch die einst Magma floss und die jetzt teilweise begehbar sind. Da und dort liegen Brocken aus Vulkangestein, die sich verblüffend leicht stemmen lassen. Am nächsten Abend sitzen wir vor dem Motorhome am Ufer des Manzanita-Sees, auf dessen Oberfläche sich die schneebedeckte Lassen-Spitze spiegelt. Die Sonne senkt sich langsam zwischen die Baumwipfel und taucht alles in goldenes Licht. In solchen Momenten muss man kein hessischer Winzer sein, um jenseits des großen Teichs ein Stück vom Glück zu finden.